Astrakhan - Haunted House (abgeschlossen)
#1
Die Tür fiel krachend ins Schloß und Minea wünschte, sie hätte sagen können, sie hätte geahnt, der er dies tun würde. Sie presste die Zähne fest aufeinander und verfluchte ihren Vater innerlich. Insgeheim fragte sie sich, ob sie ihm je hatte davon erzählen sollen, dass Geistererscheinungen ihr Unbehagen bereiteten und sie die Toten wandeln sehen konnte. Sie spürte den schweren Kloss in ihrem Hals und spürte wie ihre Hände schwitzig wurden als die kleine Holztreppe zu ihrer Linken leise knartzte. Minea trat mutig einen Schritt nach vorne. Sie war sich sicher nicht bei einem solch lapidaren Einsatz zu sterben, wenngleich das Risiko unbedarft durch dieses Haus zu wandern und dann tatsächlich nicht zu sterben gleichermaßen hoch war wie es zu überleben. Aber sie war nicht irgendeine Magierin, sie war jetzt eine Nirakismagierin ? wenngleich auch nur ein kleiner unbedeutender Lehrling, aber man würde künftig noch viel erwarten dürfen, zumindest so ihr Plan. Aber jetzt galt es erst einmal sich zu fokussieren und zu konzentrieren, sonst würde sich ihre glorreichen Zukunftspläne bald in Schall und Rauch verwandeln und sie würde höchstens in die Analen der Familie als der Lehrling eingehen, der zu früh durch eigene Dummheit bei einer einfachen Übung verstorben war.
Sie ging im Kopf ihre Checkliste durch: Ihr mentaler Schutz war aufrecht, in ihrer Tasche waren Ketten und Salz. In der Theorie war sie gut vorbereitet, was tatsächlich auch mitunter lag, dass sie einen alten Kontakt hatte wieder aufleben lassen, der sich als wahrer Experte in puncto Geistern herausgestellt hatte. Schon lange verließ sie sich nicht mehr auf das, was nur in Büchern geschrieben stand. Viele der Reisenden hatten oft viel pragmatischere und spannendere Ansätze erarbeitet und waren aber nicht dazu gekommen diese schriftlich festzuhalten. Die Menschen, die Bücher schrieben, hatten sich meist zu sehr vom praktischen Ansatz entfernt und betrachteten Situationen und Dinge über die sie schrieben lediglich aus der Distanz. Früher hätte sie die sichere Distanz sicherlich bevorzugt, aber so nach und nach genoß sie die neue Freiheit, die sie sich durch Eintritt in das Magierhaus geschaffen hatte. Für gewöhnlich ließ Meister Brychan sie auch alleine gewähren, nun ja bis auf die wenigen Gelegenheiten zu denen sie sich im letzten halben Jahr getroffen und sie sich ausgetauscht hatten. Im Anschluss passierten stets Dinge wie diese hier.
Dieses Haus ließ Minea frösteln und sie war sich sicher ihr Vater hatte es handverlesen für sie ausgesucht. Es war nicht irgendein Haus. Es war ein durch und durch verdorbenes Haus. Sie spürte förmlich die Boshaftigkeit der hier ansässigen Geister während sie sich langsam vorantastete.
Sie musste einen sicheren Ort schaffen, sollte die Anzahl der Geister derart Überhand nehmen, dass sie sich zurückziehen musste. Sonst hätte sie keine Möglichkeit die Nacht zu überstehen, ohne von der Geistersieche befallen zu werden. Erst im zweiten Schritt würde sie nach dem boshaftesten Geist Ausschau halten und versuchen seine Quellen zu orten. War diese einmal ausfindig und unschädlich gemacht, würde dieses Haus wieder ein netter kleiner Ort werden können. Aber wer wusste schon, was die Nacht noch bringen würde.
Sie nahm eine ihrer Ketten vom Gürtel und legte diese vor die Treppe, die in den ersten Stock führte. Ihr war bewusst, dass die nur ein minimaler Versuch war die Geister davon abzuhalten durch das Haus zu irren, dennoch unternahm sie ihn. Für sie war das dies nur eine einfache Kette, aber den Geistern würde sie einige Unbehagen verursachen und sie zumindest für eine Zeit aufhalten.
Sie sah sich ausgiebig im Untergeschoss um, erst grob und entdeckte mehrere Vorratsräume sowie eine Küche mit einer Feuerstelle und einer Wanne aus Eisen, dann intensiver um die Fluchtmöglichkeiten in Augfenschein zu nehmen.
Der Lehrling betrat die kleine Stube, dessen Eingang sich neben der knarzenden Treppe befand. Alles war mit einer Schicht Staub bedeckt und dicke Spinnweben hingen von der Decke. Russgeschwärzte Töpfe lagen achtlos umgestoßen in der kalten Feuerstelle. Ungespülte und mit Resten verkrustete Holzschüsseln standen auf dem hölzernen Tisch, fast so als wären die Menschen gerade, die hier gewohnt hatten einfach aufgestanden und gegangen. Nun ja, vermutlich waren sie das auch und niemand wusste, was aus ihnen geworden war. Minea rümpfte unwillkürlich die Nase ob des Staubs, aber beschloss, dass es gleichermaßen wohl kaum ihre Aufgabe war hier Ordnung zu schaffen.
Sie angelte die weitere Kette von ihrem Gürtel und zog mit ihr einen Kreis auf den Holzdielen. Sie achtete akribisch darauf, dass sich die Enden überlappten und reinigte das Innere des Schutzkreises sorgfältig aus. Nachdem ihr Schutzkreis stand, blickte sie sich in dem Raum um. Durch die Fenster in der Stube konnte sie sehen, dass die Sonne langsam unterging. Es würde also nicht mehr lange dauern, bis das Haus zum Leben erwachen würde und spätestens dann würde sie sich in den Kreis zurückziehen müssen, um die Vorgänge besser beobachten zu können.
Sie wusste nicht, auf welche Geister sie hier stoßen würde und im Grunde verspürte sie einen gewissen Widerwillen mit ihnen zu sprechen oder anderweitig zu agieren, aber sie war nun mal hier und sie vermutete, dass Meister Brychan vorgesehen hatte, dass das auch so blieb.
Eine dicke Spinne seilte sich direkt vor ihrer Nase von der Decke und fast wäre Minea in sie hineingelaufen. ?Igitt,? murmelte sie leise, überrarscht von sich selbst beim Anblick nicht laut aufgeschrien zu haben. In ihrer Verärgerung überlegte sie kurz das Tier zu töten, beließ es dann jedoch dabei einfach vorbeizugehen. Es machte ohnehin keinen Sinn alle ihr unangenehmen Lebewesen dieser Welt töten zu wollen ? schlicht und ergreifend weil es viel zu viele davon gab.
Monatelang hatte sie geübt ihre Gefühle und Gedanken zu verbergen und zu unterdrücken, daher war sie nicht verwundert, dass ihr angestauter Zorn sich nun bei einer kleinen harmlosen Spinne zu entladen drohte. Minea atmete tief durch und schluckte all das Unbehagen, dass das Haus und letztlich auch die Spinne ihr zu bereiten schienen, herunter und sah sich weiter um.
Sie analysierte aufmerksam die Stube. Der Staub lag im ganzen Raum in dicken Schichten, nur hier und da schien ein kleineres Tier ? eine Maus oder Ratte ? ihre Spuren zwischen den Flusen hinterlassen zu haben. Minea schüttelte sich. ?Auch das noch - Ratten,? dachte sie und versuchte den Gedanken an die Nager schnell zu verdrängen bis etwa schnell durch den Raum huschte.
Erschrockten machte sie einen Schritt zur Seite und umklammerte den Stuhl. Dann wurde es dunkel und still und sie fühlte wie sie fiel.
Es war noch immer dunkel als sie die Augen wieder öffnete. Ein unheimliches Frösteln machte sich auf ihrer Haut breit. Was war nur passiert? Sie blinzelte und tastete neben sich. Eiskaltes Metall. Raureif. Staubiger Boden. Erinnerungsfetzen kehrten zurück in ihr Gedächtnis. Das Haus. Sie war in dem verfluchten Haus. Sofort war sie hellwach und setzte sich ruckartig auf.
?Schau Großvater! Unser Gast ist wach!? Es war die Stimme eines Kindes, dass leise an ihr Ohr drang. Minea bemerkte, dass der Raum nicht völlig in Dunkelheit gehüllt war. Hinter ihr erhellte ein Lichtschein die Stube und die Schatten, die diese Lichtquelle zeichnete, tanzten aufmunternd auf der Wand, auf die die Magierin blickte.
Ruckartig zog die junge Frau die Beine an und raffte die Robe eng an sich. Ihre Schuhe hatten über den Kettenkreis hinausgeragt, ebenso wie einige Teile ihrer Robe. Vorsichtig wandte sie ihren Kopf. Auf dem Esstisch standen zwei Kerzen, die die Stube in eine heimelige Atmosphäre tauchten. Am Tisch saßen zwei Kinder, vor dem Tisch stand ein alter Mann. Er war auf einen Gehstock gestützt und seine Bewegungen wirkten leicht behäbig.
?Guten Abend... Du brauchst keine Angst vor uns zu haben,? sagte der ältere Mann freundlich nachdem auch er sich Minea zugewandt hatte.
Die junge Frau runzelte die Stirn, sagte aber nichts.
?Geht es dir gut?? Der alte Mann blickte sie besorgt an und beugte sich leicht zu ihr vor, fast so als ob er ihr vom Boden aufhelfen wollte.
Minea blickte sich im Raum um. Er hatte wirklich das Wort an sie gerichtet.
?Kannst du nicht sprechen, Mädchen??
Die Magierin überprüfte ihre Kette. Der Kreis war intakt.
?Wir hatten schon lange keine Gäste... Na ja, keine netten Gäste... Zum Abendessen...? Der alte Mann lächelte gewinnbringend. ?Hast du Hunger??
Minea erhob sich vom Boden und klopfte ihre Robe aus. ?Nein... Danke...?
?Sie spricht ja doch, Großvater,? rief das eine Kind freudig und klatschte dabei in die Hände.
Die Magierin betrachtete nun das erste Mal wirklich die Szernerie. Die Stube war ausgefegt. Kein Staub außerhalb des Kettenkreises. Die Schüsseln standen auf dem Tisch. Es war gedeckt. Die Fenster standen offen. Es war dunkel. Auf der Bank saßen zwei Kinder ? ein Mädchen mit großen brauen aufgeweckten Augen und ein kleiner Junge mit schmutziger Nase. Der Großvater hatte weißes Haar und einen vollen Bart. Er war hager und gebeugt, aber wirkte dennoch nicht schwach oder gebrechlich. Die Sonne hatte seine Haut über Jahrzehnte gegerbt und tiefe Falten hinterlassen. Sein Gesicht war offen und freundlich.
?Hast du wirklich keinen Hunger, Mädchen?? Fragte der alte Mann.
?Ich habe Hunger,? rief das kleine Mädchen.
?Wie kommen Sie in dieses Haus?? Fragte Minea barsch das Mädchen völlig außer Acht lassend.
Der Mann lachte. ?Wir wohnen hier! Die Frage ist viel eher, was du in unserer Stube machst und warum du auf unserem Boden gelegen hast...? Er schien amüsiert und in keinster Weise verärgert zu wirken.
?Wer ist noch hier??
Der alte Mann legte die Stirn in Falten. ?Warum fragst du??
Minea blieb still. Es war nichts zu hören. Ihr Blick fiel auf die Schüsseln. Es waren fünf. ?Wo sind die Anderen??
Der Großvater folgte ihrem Blick und lächelte. ?Du brauchst wirklich keine Angst zu haben, Mädchen. Wir sind zu fünft. Meine Tochter Olga ist in der Küche. Mein Schwiegersohn Igor ist in der Scheune,? gab er zurück und wurde plötzlich ernst. ?Willst du uns ausrauben??
Irritiert musterte Minea den alten Mann. ?Sehe ich so aus als ob ich nötig hätte??
Wieder lachte der alte Mann. ?Nein, so gar nicht. Also, wenn du schon nichts essen möchtest, darf ich dir wenigstens etwas zu trinken anbieten??
?Nein,? antwortete die Magierin entschieden.
?Na gut... Vielleicht bekommst du ja noch Durst... Möchtest du uns wenigstens deinen Namen verraten??
Ihre Kehle war trocken und sie spürte das rauhe Kratzen im Hals. Sie würde es aushalten müssen, aber auf jeden Fall würde sie nichts zu trinken oder zu essen annehmen. ?Talena,? log sie, latent entsetzt wie leicht diese Lüge über ihre Lippen kam nachdem sie ihr Leben lang dazu angehalten war eben dies nicht zu tun.
?Also, Talena... Wie kommst du in unsere Stube und möchtest du dich zu uns an den Tisch gesellen??
Im gleichen Moment wurde die Tür hinter der Feuerstelle aufgestoßen und eine Frau kam in die Stube. ?Die Suppe ist fertig,? sprach sie feierlich ohne die junge Magierin zu beachten.
?Sieh doch, Olga. Wir haben einen Gast,? sprach der Großvater und wies in Richtung der Magierin ohne auf die Aussage der Frau zu achten.
Die Augen der Frau hellten sich auf. ?Oh, wie nett. Isst sie denn mit uns??
?Bestimmt... Sie ist aber noch ein wenig scheu...? Er schien der Frau zuzuzwinkern.
?Aber die Suppe wird kalt,? merkte Olga an als sie den Topf auf dem Tisch abstellte und die Kinder ihr auch schon ihre Schüsseln entgegenstreckten. ?Also, Mädchen??
?Ich will, dass Talena mit uns isst,? rief das kleine Mädchen. Ihr kleiner Bruder blieb stumm.
Minea verschränkte die Hände vor dem Körper. Ihr Magen knurrte als ihr der Duft der Suppe in die Nase stieg. ?Nein, danke,? erklärte sie trotzig.
Olga stemmte die Hände in die Seiten. ?Bist du dir wohl zu fein mit uns zu essen?? Sie zwinkerte.
Minea reagierte nicht.
?Na komm schon, Talena. Setz dich zu uns... Und vielleicht überlegst du es dir ja noch mit der Suppe...? Wieder hatte der alte Mann das Wort ergriffen.
Irgendetwas war hier seltsam, nur konnte sie noch nicht wirklich ausmachen, was es war. Aber sie war hier um mit den Geistern zu sprechen und sich abzuhärten gegen die Einflüsterungen dieser Erscheinungen.
?Mama? Darf Talena neben mir sitzen? Bitte!? Fragte das kleine Mädchen wieder.
?Sie kann Papa´s Stuhl haben,? entgegnete die Mutter.
?Wirklich?? Der Großvater schien überrascht. ?Nicht meinen??
Minea legte den Kopf schief. Was war denn das für eine seltsame Unterhaltung? Warum redeten sie jetzt über Stühle? Ihr Schuh trat leicht gegen die Kette und im selben Moment, in dem die Kette leise über den kalten Boden kratzte, überrollte sie eine Woge der Anspannung.
Mit einem lautlosen Satz, den Minea dem alten Mann nicht zugetraut hätte, trat der alte Mann an ihren Kreis heran. Sein Gesicht war zu einer Fratze verzogen. ?Du kannst meinen Stuhl haben. Wirklich, Mädchen! Nimm ihn!?
Ruhig und mit Bedacht machte Minea einen Schritt zurück. ?Ich denke, ich stehe lieber. Vielen Dank!?
?Nimm diesen Stuhl und setz dich hin!? Forderte der Alte aufgebracht und wies auf seinen Stuhl.
?Ich denke, dass ist keine gute Idee,? gab die Magierin zurück.
?Vater, nun beruhig dich doch.? Olga war an den alten Mann herangetreten und hatte ihm sachte die Hand auf den Arm gelegt. ?Sie wird sich schon noch setzen...?
?Und was ist, wenn nicht?? Der alte Mann begann sich seine Haare zu raufen.
?Ja, was passiert dann?? Erkundigte sich die Magierin mit ernster Stimme.
Olga winkte ab, doch der Alte schien sprechen zu wollen. ?Dann werden wir alle sterben!?
?Hm,? brummte Minea. ?Bedauerlich...?
?Hast du gehört? Wir werden sterben! Alle!? Das alte Mann stand nun ganz nah an den Ketten. ?Aber das ist dir wohl egal!?
?Ich wüsste nicht, wie ich helfen könnte,? erklärte Minea ohne sich auch nur einen Schritt vorwärts oder rückwärts zu bewegen. Der Alte stand keine Armlänge von ihr entfernt, lediglich das kalte Eisen der Ketten trennte sie.
?Wenn du rauskommst, erzählen wir es dir,? sprach nun Olga mit süßlicher Stimme.
Minea blickte die Frau stumm an und musterte einmal mehr die Szenerie. Der alte Mann, der vor ihr stand und voller Verzweiflung abermals seine Haare zu raufen begonnen hatte. Neben ihm Olga mit rosigen Wangen, sauber zusammengekämmten Haaren, rundlich um die Hüfte.
?Im Übrigen habt ihr gelogen...Ihr seid zu Sechst,? korrigierte die Magierin nüchtern.
Der Alte blickte die junge Frau verwirrt an. Dann glitt sein Blick zu seiner Tochter, die noch immer die Magierin ungläubig anstarrte.
?Stimmt das?? Flüsterte der Alte leise.
Wieder winkte Olga ab, schien aber fast beiläufig über ihren Bauch zu fahren.
?Stimmt das?? Die Stimme des Großvaters war lauter geworden.
Olga senkte den Kopf. ?Ja...? Ihre Stimme war kaum zu hören.
Der alte Mann wandte sich seiner Tochter zu und legte seine Hände auf ihre Schultern. ?Olenka, was für wundervollen Nachrichten!?
Die Mutter ließ ihren Kopf hängen. ?Aber es bringt doch nichts...?
?Doch, doch... Talena wird deinen Stuhl nehmen, Olga! Ganz sicher wird sie das!? Er nickte aufgeregte. ?Das wirst du doch, nicht wahr??
Minea musterte die Beiden. ?Leider nein...? Sie wunderte sich, wie ruhig sie blieb.
?Aber Olenka... Sie wird sterben...? Der Großvater begehrte trotzig auf. ?Das kannst du doch nicht zulassen!?
?Wenn Menschen leben möchten, müssen andere Menschen sterben... Also muss ich es zulassen,? sprach die Magierin mit fester Stimme, aber sie spürte wie sich Mitleid in ihr regte.
?Das Kind hat noch sein ganzes Leben vor sich,? flüsterte der Großvater. ?Bitte, hilf uns!?
?Ich kann nicht, nicht jetzt, aber ich werde tun, was ich kann...?
?Was wird das sein, was du tun wirst?? Fragte Olga.
?Das würdet ihr nicht verstehen...?
?Kannst du nicht wenigstens die Kinder retten?? Die Worte der Mutter klagen flehend.
Minea seufzte. ?Nein... Es tut mir leid...? Sie spürte, wie diese Szenerie langsam an ihrer Substanz zu kratzen begann. Wie sollte sie das nur die ganze Nacht durchhalten?
?Mama, wird Talena uns retten?? Das kleine Mädchen hatte sich lautlos durch die Röcke der Mutter an den Rand der Ketten bewegt.
Olga kniete nieder und küsste die Stirn ihrer Tochter. ?Nein, Schatz. Sie wird uns nicht retten.?
?Aber warum nicht??
Olga zuckte mit den Schultern. ?Ich weiß es nicht, Schatz!?
Das Mädchen begann zu schluchzen. ?Dann möchte ich nicht, dass Talena meine Freundin ist!?
?Ich bin auch nicht deine Freundin,? entgegnete Minea sachlich.
Das kleine Kind wandte sich ihr zu. Auch ihr Gesicht verzog sich zu einer Fratze. ?Du wirst schon sehen, was du davon hast!? Dicke Tränen rannen über das Gesicht des pausbäckigen Mädchens und unendliche Trauer spiegelte sich in ihm wieder.
?Was wird mit euch geschehen?? Fragte Minea leise nachdem einige Zeit keiner das Wort ergriffen hatte.
Olga ließ ihre Schultern hängen und schluchzte.
?Wir... werden alle sterben...? Es war der Großvater, der nun wieder das Wort ergriff.
Das war der Magierin auch schon vorher klar gewesen. Sie nickte. ?Wie??
Das kleine Mädchen schluchzte lauter. ?Ich will nicht sterben... Nicht schon wieder... Es tut so weh...?
Minea strich sich eiine Haarsträhne aus dem Gesicht. Diese ganze Situation begann ihr langsam zuzusetzen. ?Was ist mit dem Jungen? Warum spricht er nicht??
Olga blickte sich zu dem Jungen, der noch immer reglos und blass am Tisch saß. ?Sie werden ihn zuerst töten...?
Der Junge blickte zu seiner Mutter. Sein Blick schien leer.
?Wer sie??
Olga öffnete den Mund doch statt zu antworten, verformte sich ihr Gesicht zu einer erschrockenen Fratze, die auf etwas hinter Minea gerichtet zu sein schien. Vorsichtig wandte die Magierin sich um und erblickte einen großen grobschlächtigen Mann mit Hörnern im Schatten der Dielen. Er nahm fast den gesamten Türrahmen zur guten Stube ein als er näher trat und erst jetzt erkannte Minea, dass er einen abgeschlagenen Kopf am Schopf in seiner rechten Hand hielt. Gleichwohl war es totenstill im Raum.
Dann verlief alles viel zu schnell und doch verging die Zeit lediglich wie in Zeitlupe: Der Kopf flog in die Stube während sich Blutstropfen wie in einem Kreisel im Raum verteilten. Das Mädchen schrie, doch hörte Minea keinen Laut. Olga rief etwas, doch ihre Worte schienen regelrecht verschluckt zu werden. Der Gehörnte trat lautlos lachend in die Stube. Seine Axt wirbelte durch die Luft und noch während Minea sich fragte, warum sie diese nicht eher wahrgenommen hatte, donnerte ein Schlag auf sie nieder. Sie versuchte sie wegzuducken, doch die Axt glitt an ihrem Schutz ab, traf den alten Mann, der geräuschlos zu Boden glitt. Etwa zeitgleich fiel wie der abgetrennte Schädel neben ihren Ketten zu Boden. Olga ergriff ihre Tochter und rannte in Richtung der Küche. Der kleine Junge saß am Tisch und betrachtete noch immer erschrocken den den riesigen Krieger.
Die Magierin reagierte instinktiv. ?Lauf,? schrie sie. ?Lauf weg!?
#2
Der Junge rührte sich nicht. Wie der Hase vor der Schlange saß er und starrte auf den Barbaren.
?Lauf!? Schrie Minea. ?Lauf! Verschwinde von hier!?
Der Krieger schien Minea nicht hören zu wollen, auf jeden Fall beachtete er sie nicht.
Noch immer rührte der Junge sich nicht. Er schien nun seinen Großvater anzusehen.
Langsam schritt er auf den Jungen zu, stellte seine Axt ab und hob das Kind auf den Arm hoch.
?Papa,? sagte der Junge.
Der Gehörnte lachte, strich dem Jungen über den Kopf und brach geräuschlos sein Genick durch.
Minea stand wie erstarrt da und schlug die Hände vor den Mund um einen Aufschrei zu unterdrücken. Warum war der Junge nicht weggelaufen? Warum hatte er nicht auf sie gehört? Hatte er den Gehörnten Papa genannt?
?Rette uns... Rette mich!? Die leeren Augen des Großvaters blickten zu ihr empor.
Die Magierin schreckte aus ihren Gedanken auf. Vor ihr lag der Großvater, sein Kopf gespalten, aber er lebte - noch. Der Junge war also zuerst gestorben und noch während ihr dieser Gedanke kam, spürte sie das Leben aus dem Körper des Großvaters entweichen. Neben dem Körper lag der regelrecht abgerissene Kopf des Vaters starrte auf die Küchentür, hinter der Olga mit dem Mädchen verschwunden war. Achtlos wie ein Geschirrtuch warf der Krieger das Kind zur Seite, so dass sein Körper schlaff gegen die Wand prallte und nahm seine Axt zur Hand. Mit schweren Schritten machte er sich in Richtung der Küche auf.
?Nein! Nein!? Rief die Magierin und noch bevor Minea wirklich klar wurde, was sie tat, knirschte das Eis bereits unter ihren Füßen. Der Raum war stockdunkel als sie aus dem Kettenkreis hinaustrat. Dort, wo der Krieger gestanden hatte, waberte nun eine bläuliche Gestalt in der Dunkelheit, die sich ruckartig zu ihr umdrehte. Boshaftigkeit umgab die Gestalt, die sich schnell zu nähern schien.
Minea nestelte nach ihrem Salz und warf eine der kleinen Flaschen auf den Boden, bevor der Geist sie erreichte. Das Salz spürte Funken und eine kleine Flamme züngelte an dem Geist, der entsetzt zurückwich. Aber Minea hatte seine wahre Gestalt gesehen und wusste, dass dieser Geist sich nicht durch ein bißchen Salz abschrecken lassen würde.
Sie machte einen halben Schritt zurück in den Kreis. Sie war zum Reden hier, nicht zum Kämpfen. Sofort war der Raum wieder hell erleuchtet, der tote Körper des Großvaters lag an der Kette zu ihren Füßen neben dem abgeschlagenen Kopf des Vaters.
?Hm... Schöner Duft...? Der Barbar trat an den Kreis heran. ?Komm raus, Mädchen!? Er musterte sie.
Minea reagierte nicht.
?Ich kann dich sehen, Prinzessin...?
Die Magierin zog die Augenbrauen hoch. Bluffte der Barbar oder konnte er sie nun wirklich sehen? Sie wusste es nicht, aber sie hatte nicht vor sich seinem Geist zu stellen.
Aus der Küche war ein Geräusch zu hören. Vermutlich ein Gefäss, dass zu Boden fiel und klirrend auf dem Boden zersprang.
Der Barbar lachte und schien schlagartig das Interesse an Minea zu verlieren. Er wandte sich ab und ging in Richtung der Küche. Schließlich wartete dort noch ein leichteres Opfer auf ihn.
?Nein!? Es war wieder Minea, die aufbegehrte.
Der Barbar lachte und hielt inne. ?Nein was??
Minea stockte. Er hörte sie.
?Lass sie,? fauchte sie.
?Sie?? Er drehte sich zurück zu Minea und grinste wolllüstig. ?Willst du etwa ihren Platz einnehmen??
Die Magierin knirschte mit den Zähnen.
Wieder lachte der Barbar und nahm dann wieder seinen Weg auf.
?Sie erwartet ein Kind,? warf Minea ein.
?Ist mir egal!? Mit diesem Worten stieß er die Tür auf und verschwand in der Küche.
Minea sackte im Kreis zusammen. Was sollte sie nur tun? Sollte sie eingreifen? War nicht einer der Grundsätze ihres Glaubens zu handeln? Doch sie zögerte. Sie hatte keine Angst, aber es ging hier nicht darum in der Vergangenheit herumzupfuschen, sondern Erkenntnisse zu sammeln und am Ende ? wenn alles nach Plan verlief ? die Geistererscheinungen aufzuheben.
Stattdessen erlebte sie in den nächsten Stunden ein unvorstellbares Hörspiel an Grausamkeiten, die ein Mann einer Frau antun konnte ehe sich die Tür erneut öffnete und der Barbar zufrieden grinsend die Stube betrat. Minea hatte sich auf dem Boden niedergelassen und hatte versucht all die Geräusche auszublenden. Ihr Kopf ruhte auf den Knien und sie hob ihn kurz, um dieses Monster anzusehen. Blut rann über seine Lippen und seine Augen glänzten. Er lachte schallend und ging ohne ein weiteres Wort nach draußen. Dann wurde es wieder still.
Lange, lange Zeit passierte nichts. Das Haus hüllte sich vollständig in Stille und als Minea sich langsam zu fragen begann den Kettenkreis zu verlassen, knarzte die Küchentür erneut. Das kleine Mädchen schleppte sich in die Stube. Sie wirkte unverletzt, aber man konnte sehen wie sehr ihr die ganze Situation zugesetzt hatte. Und wo war eigentlich ihre Mutter? Was war in der Küche geschehen? War Olga tot?
?Kleine,? flüsterte Minea. Sie tat ihr unsagbar leid und sie bereute inzwischen nicht eingegriffen zu haben. Das Mädchen reagierte nicht.
?Mädchen...?
Die Kleine blickte noch nicht einmal zu ihr auf. Wortlos verließ sie den Raum und Minea blieb erneut allein.
Sie musste eingenickt sein und schreckte nun aus ihrem Schlaf auf. In der Stube brannte noch immer ein schwaches Feuer und weit hinten in der Stube saß das Mädchen, dass sich an eine Puppe schmiegte. Neben ihr lag ein kleines Bündel, dass sie unablässig streichelte und ihr gegenüber saß der Großvater.
Minea stockte. Wie konnte das sein?
Der Kopf des Vaters, der neben ihren Ketten gelegen hatte und auch der Körper des Großvaters waren verschwunden. Die Magierin runzelte die Stirn. Warum saß der Großvater am Tisch, obwohl er tot war? Sie wagte einen näheren Blick und sie konnte nicht sagen, dass sie mochte, was sie dort sah ? der Großvater war und blieb tot. Dies war beruhigend auf der einen, aber auch beunruhigend auf der anderen Seite.
Was war in dem Bündel? Mineas Augen weiteren sich. Das war keine Puppe! Es war der tote Leid ihres kleinen Bruders. Die Magierin rümpfte die Nase, besann sich dann aber eines Besseren und versuchte das Kind erneut anzusprechen.
?Kleines? Hörst du mich??
Die Kleine reagierte nicht. Warum hatte Minea nur nicht nach dem Namen der kleinen Göre gefragt? Sie verdrehte die Augen.
?Mädchen!?
Wieder keine Reaktion.
Die Magierin seufzte. Kinder waren einfach nicht ihrs, aber sie war hier um mit dem Geist zu sprechen. Was ist wenn das Kind traumatisiert war?
Innerlich lachte ihre Seele hell auf. ?Bist du das nicht auch? Kommt dir das hier nicht sehr bekannt vor??
Mineas Nackenhaare sträubten sich unwillkürlich. ?Schweig!? Befahl sie ihrer inneren Stimme und diese verstummte augenblicklich. Die harte Konditionierung hatte sich offensichtlich ausgezahlt. Dennoch hatte ihre innere Stimme recht. Diese Situation förderte definitiv Erinnerung zum Vorschein, die Minea gerne hatte vergessen wollen.
Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass das Mädchen sich bewegte, von der Bank rutschte und zu ihrem Großvater ging. Sie umarmte ihn innig und hielt ihn lange fest.
?Alles Gute zum Geburtstag, Großvater! Lass uns jetzt essen,? sprach sie fröhlich und lächelte den toten Mann an. Dann biss sie in seine Wange. Und biss noch einmal und noch mal. Fleischfetzen hingen dem Mädchen aus dem Mund als sie zu Minea hinüberblickte.
Minea starrte das Kind entsetzt an und musste nachdem sie den anfänglichen Schock überwunden hatte plötzlich würgen. Erschrocken, dass sie trotz ihrer adligen Erziehung gewürgt hatte, wurde ihr noch schlechter und sie würgte erneut.
Das Mädchen kicherte. ?Alles deine Schuld... Hättest du uns doch nur geholfen!? Dann nahm sie noch drei weitere Bissen und hüpfte fröhlich mit ihrem kleinen Bruder unter dem Arm in die Küche.
?Das war jetzt neu,? murmelte ihre innere Stimme und Minea konnte nicht anders als lediglich die Augen zu verdrehen. Dieses Situation war nun gänzlich anders als ihre Eigene und das einzige, was ihre innere Stimme anmerkte war, dass das Herausbeißen von Fleisch aus verstorbenen Angehörigen neu war.
Mutlos sackte die Magierin zusammen. War sie wirklich Schuld? Hätte sie die Gesamtsituation ändern können, wenn sie eingegriffen hätte? Ihre innere Stimme verdrehte nun die Augen. ?Ernsthaft? Du gehörst einmal über den Platz geprügelt von Meister Brychan allein für diesen Gedanken!? Minea atmete tief durch. Unrecht hatte die Stimme nicht. Sie sollte nicht an sich selbst zweifeln. Das hier waren Geister, keine Menschen und überhaupt brachte Mitleid sie in den seltensten Fällen weiter.
?Hm, was würde Meister Brychan tun, wenn er hier wäre?? Fragte sie sich im Stillen. Promt kam als Antwort: ?Handeln!?
?Du meinst ich soll da rausgehen?? Minea runzelte die Stirn.
?Was weiß ich? Warum fragst du mich? Du bist doch die Magierin. Oder kannst du etwa nichts? Hast deinem Meister wohl nicht zugehört...? Die Stimme kicherte.
?Jetzt sei endlich ruhig,? knurrte Minea ungehalten. ?Ich weiß genau, was ich tue!? Na ja, zumindest hoffte sioe zu wissen, was das Beste sein würde, aber sicher war sie sich nicht.
?Du hast keine Ahnung,? gab ihre innere Stimme hämisch zurück.
?Jetzt schweig doch einfach!? Minea wurde langsam ungehalten. Kaum jemand kannte diese Seite an ihr, doch seit sie dem Roten Glauben beigetreten war, manifestierte sich dieser Charakter immer öfter, auch wenn sie es schaffte ihn meist hinter einer Fassade aus Verachtung und Arroganz zu verstecken.
?Liebes, ist das da etwa Geisternebel??
Minea blickte auf. Dicker grünlicher Nebel waberte durch den Raum. Ihre innere Stimme hatte recht. Es stand also eine Manifestation kurz bevor. Minea überprüfte sofort die Eisenkette, doch diese hielt. Sie wünschte sich zwar etwas mehr Abstand zu dieser Szenerie, aber das war nun wirklich nicht zu bewerkstelligen.
Aus dem Nebel heraus erschienen Umrisse ? mehrere Männer mit Hörnern auf ihren Helmen und schweren Äxten in den Händen. Sie saßen am Tisch und schienen zu feiern. Nahm das hier denn kein Ende? Mineas Zähne knirschten. Was sollte denn noch alles passieren?
Im Geisternebel manifestierte sich das Mädchen und brachte den Kriegern Essen. Mit einem Zwinkern zu Minea stellte sie den Topf lächelnd auf dem Tisch ab und sie die Männer essen. Die Szene wiederholte sich immer und immer wieder. Es waren immer andere Krieger und das Mädchen schien mit jeder Wiederholung dieser Szene zu wachsen und älter zu werden. Zum Schluss ist sie eine alte Frau, dennoch attraktiv bis zu ihrem eigenen Tod. Unnatürlich, aber schön und verschlagen bis zum Schluss. Kurz vor ihrem Tod stößt sie einen letzten Fluch aus und verflüchtigt sich.
Eine Hexe. Eine wirkliche Baba Jaga, wie in Grigoris Geschichten. Das war unfassbar. Wusste Meister Brychan, welcher Gefahr er sie ausgesetzt hatte? Wusste er überhaupt genug, um die Tragweite der Macht dieser Hexen zu begreifen? Hatte er den Geschichten von Grigori überhaupt zugehört? Minea schluckte. Die Lage war ernster als gedacht und sie wusste, dass sie vermutlich nichts würde ausrichten können. Zumindest nicht nachts. Und überall war es sicherer als hier drin.
?Jetzt hör doch mal auf zu heulen, Minea,? sprach ihre innere Stimme. ?Du bist doch jetzt eine Elitemagierin des großartigen Hauses Nirakis!? Blanker Hohn schwang in dem Unterton mit. ?Also tue doch endlich was! Sonst sterben wir Beide!?
Der Geisternebel um sie herum veränderte sich, wurde lichter und verflog allmählich.
Minea verschränkte die Arme vor dem Körper, ihre innere Stimme ignorierend. Sie hasste es, wenn ihre innere Stimme so abfällig sprach und sie herausforderte.
?Hat es dir etwa die Sprache verschlagen??
?Neihen,? gab Minea mit fester Stimme zurück. ?Ich versuche nur nachzudenken!?
?Denken... Denken... Denken,? echote es im Raum. DAS war nicht ihre innere Stimme gewesen. Minea fröstelte.
?In diesem Kreis sind wir sicher,? versuchte sie sich selbst zu überzeugen. Kein Geist würde über diese Eisenketten treten und so lange sie hier drin war, sollte ihr nichts passieren.
?Sicher... sicher... sicher... nicht sicher...? Wieder ein Echo.
?Denkst du noch?? Fragte die innere Stimme ängstlich. ?Wenn ja, kannst du das bitte auch schneller??
Wie viele Menschen mochten in diesem Haus verstorben sein? Im Geiste zählte Minea sie rasch durch: der Junge, der Großvater, der Vater, vermutlich die Mutter, einige unzählige Barbaren und schlussendlich die Hexe. Mindestens also fünf Menschen und die Gehörnten. Fünf Geister waren schon eine Herausforderung, aber eine unschätzbare Anzahl sowie eine Baba Jaga waren etwas völlig anderes.
?Minea? Denkst du noch?? Wieder die innere Stimme. ?Denkst du noch nach??
?Ja, tue ich...?
?Wird sind hier doch sicher, oder??
?Ja, wird sind sicher!?
Mit einem Mal flackerte Schemen vor der Kette auf. Erst einer, dann zwei, vier, fünf, acht, zwölf, achtzehn... Mineas Herz sank. Das waren weitaus mehr als gedacht und es wurden immer mehr.
?Nicht sicher,? raunten sie. ?Nicht sicher!?
War das eine Warnung? Minea runzelte die Stirn. Sie war sicher, vorausgesetzt die Kette hielt. Wieder ein prüfender Blick, aber was sie sag gefiel ihr gar nicht. Die Kette schob sich leicht, kaum merklich über den Boden. Der Kreis wurde enger, immer enger. Sie war hier nicht sicher.
?Nicht sicher,? raunte die Geistermenge.
?Was wollt ihr von mir?? Rief Minea trotzig.
?Essen,? pressten sie gequält hervor.
?Hätte ich übrigens auch nichts dagegen,? merkte ihre innere Stimme an. Das war unglaublich hilfreich in Anbetracht der ernsten Situation.
?Sprecht mit mir,? forderte Minea doch die einzige Antwort, die sie erhielt, waren einzelne Geister, die gegen ihre Kette vorpreschten um sie anzugreifen. Die Kette wurde enger und sie fragte sich, wie das Geschehen konnte. Es konnte lediglich das Werk der Baba Jaga sein.
?Und was machen wir jetzt, wo ich schon nichts zu essen bekomme??
Minea griff in ihre Tasche, nestelte etwas Schokolade heraus. Das war nicht viel, aber immerhin besser als nichts. Sie warf die Schokolade in weitem Bogen in die Diele hinaus und wie erwartet folgten die Geister neugierig. Im nächsten Moment ergriff Minea die Gelegenheit und rannte los in Richtung der Küche. Augenblicklich wurde es dunkel um sie herum und spürte sie das eisige Pochen und Kratzen im Dielenboden.
?Was tust du?? Kreischte die innere Stimme.
?Wir fliehen,? entgegenete Minea sachlich.
?Stell die Frage noch einmal?? Raunte ihre innere Stimme.
?Welche Frage?? Fragte Minea gereizt während sie weiterrannte.
?Die, was Meister Brychan tun würde...?
Sie stieß die Tür zur Küche auf. ?Und? Was würde er tun??
?Zumindest nicht so etwas unfassbar Dummes wie du!?
Im letzten Moment wich sie dem Geist aus, der auf sie aus der Dunkelheit zuschoss. Sie musste ihren Vater unbedingt bitten ihr Verteidigungszauber beizubringen, schoss ihr durch den Kopf.
?Ich weiß genau, was ich tue,? knurrte sie im Geist, nestelte an ihrem Gürtel nach einer Salzbombe und warf diese auf den Geist. Minea vermutete, dass es sich um den Geist der Mutter gehandelt haben musste, aber ihr blieb nur wenig Zeit sich näher Gedanken zu dieser Frage zu machen. Der Geist vor ihr verflüchtigte sich augenblicklich, aber die Magierin wusste, dass er nicht gänzlich verschwunden war. Dennoch beobachtete sie genau in welche Richtung sich das Anderlicht verzog ehe sie mit einem beherzten Sprung in die eiserne Wanne, die in einer Ecke der Kücke stand, sprang. Um alles weitere würde sie sich Gedanken machen, wenn die Nacht vorüber war. Sprechen konnte sie mit keinem der Geister hier, da war sie sich sicher. Dennoch hatte sie eine vage Vorstellung von dem, was hier vorgefallen sein musste und gerade deshalb, war es klug keine weiteren Unterhaltungen zu führen.
Sie hockte sich in die Eisenwanne und spürte im nächsten Moment die Geister von außen gegen das Metall anbranden. Die Wanne zitterte vor Anspannung, doch die Magierin tat nichts. Sie konnte auch im Grunde nichts tun außer diese Nacht lebendig zu überstehen und diese war noch lang.
Endlose Stunden des Kratzens auf Metall und Scharren auf Holz waren ihre Begleiter bis sie schließlich kurz vor der Morgendämmerung in der Eisenwanne zusammengerollt einschlief, wo sie am nächsten Morgen auch Brychan fand.
#3
Der Magus sah auf seine Schülerin hinab, die kauernde erschöpfte Gestalt in der eisernen Wanne führte zu keiner Gefühlsregung bei ihm. Bereits beim Betreten des Hauses hatte er die Spuren seiner Schülerin,... seiner Tochter ausgemacht und war ihnen bis hierher gefolgt. Er klopfte mit seinem Stab von aussen gegen die Metallwanne und eben diese dröhnte wie ein großer Ressonanzkörper, der sie nun mal war.
Minea öffnete die Augen, hielt sich stirnrunzelnd den Kopf und blinzelte verwirrt. Sie schielte zum Fenster ? die Sonne war aufgegangen und sie atmete sichtlich erleichtert auf.
?Guten Morgen,? murmelte sie und setzte sich auf. Die Erinnerungen an die letzte Nacht schoßen ihr durch den Kopf und sie fragte sich, ob dies einer der Moment war, verärgert zu reagieren. Doch sie entschloss sich dagegen, wohlwissend das der Blick ihres Vaters noch immer auf ihr ruhte. Sie wusste, was er von ihr erwartete und er wusste, dass sie seine Geduld auf die Probe stellte. Sie erhob sich aus der Wanne und kramte in ihrer Tasche nach Schokolade.
"Ist er das? ... " entgegnet er kühl. Sein Blick viel prüfend auf den kramenden Lehrling, wie nur allzuoft wirkte er verschlossen. " Wie war denn die Nacht?"
Sie lächelte matt. Sie würde es gar nicht versuchen ihn anzulügen und versuchen auszumalen, wie gut alles gelaufen. Das war es nicht, aber es war nüchtern betrachtet auch nicht völlig katastrophal verlaufen. Höflichkeitsfloskeln konnte sie sich ebenfalls sparen, denn dazu schien er nicht in der Laune zu sein. ?Den Umständen entsprechend,? gab sie kurz zurück. ?Ich nehme an, ihr seid nicht gekommen, um nette Worte mit mir auszutauschen, also kommen wir doch einfach gleich zu den Dingen, die euch wirklich an dieser Nacht interessieren.
?Also...,? begann sie schließlich und kletterte aus der Wanne. ?... die Hintergrundgeschichte ist vermutlich schnell erzählt ? eine Baba Jaga, die den Tod ihrer Familie durch Barbaren gerächt und das Haus am Ende ihres Lebens verflucht hat. In Anbetracht meiner Beobachtung wäre folglich meine erste Theorie, dass sie sich von all ihren Gästen genährt hat und mit ihrem Ableben dieser Wunsch auf die Geister übergegangen ist. Aber dies und auch die Natur des Fluchs benötigen allerdings noch einer näheren Analyse. Auch werde ich eine tiefere Katalogisierung der Hexenerscheinung an sich vornehmen müssen, aber ich denke, dass wir hier auf jeden Fall über einen Geist der Klasse 3 sprechen, so wie sie all das Szenario beherrscht hat und wie ihre Manifestation sich gestaltet hat. Viel interessanter ist tatsächlich, in welcher Art sich all die anderen Geister in Gegenzug zur Hexe manifestiert haben. Es gab unter anderem Geisternebel und Eishauch in der Stube und zumindest ein Anderlicht in der Küche während die Hexe stofflich meist klar sichtbar war. All diese Erscheinungen lassen auf Geister des Typ 2 schließen, wobei auch hier eine nähere Betrachtung je Erscheinung notwendig wäre um ein besseres Bild zu erhalten. Interessant wäre darüberhinaus sich mit der Wechselwirkung der Geister untereinander zu beschäftigen und die gegenseitigen Abhängigkeiten zu beleuchten, was allerdings höchstens ein nettes Nebenprojekt wäre.?
Er nickte auf ihre Ausführungen hin. "Das ist eine solide These, die es nun zu beweisen gilt. Du hast jetzt, fürs Erste die Möglichkeit zu handeln, ich bin hier nur Zaungast. Bis zu dem Zeitpunkt da du weißt was die Hexe mit ihren Gästen angestellt hat, oder wie genau ihr Fluch lautet, oder wie sich alle Geister gebahren, würde ich dir anraten über ein wichtiges Element nachzudenken: ...Essen. Dem hast du ja offensichtlich gestern entsagt, was klug war, bedenke was der Fluch für deine eigenen, mit einem Wurf entsorgten Vorräte bedeuten könnte oder für das, was du in der Tasche hast. " Dann grinste er.
Solide These? Dabei war sie noch nicht einmal fertig gewesen. Sie hielt inne und blickte kurz auf die Schokolade, die sie in der Hand hielt. ?Hm, das hatte ich tatsächlich noch nicht bedacht, um ehrlich zu sein... Ich danke Euch für diesen überaus interessanten Denkanstoss. Ich werde diesen in meine weiteren Analysen einbringen.? Sie legte die Schokolade auf der Anrichte ab. Es schien nicht ratsam diese zu essen, auch wenn sie langsam wirklich Hunger bekam. Aber der Gedanken, dass die Schokolade sich verändert haben konnte, ließ Ekel in ihr aufsteigen. ?Ihr erlaubt, dass ich fortfahre?? Die Frage war rein rhetorischer Natur. ?Wo war ich? Ach ja... Auch die Menge der Geister war ungewöhnlich, wenngleich nicht überraschend in Anbetracht der Geschichte dieses Hauses. Kein Miasma oder anderen auffälligen Gerüche und erstaunlicherweise auch keine Geräusche außerhalb des Bannkreises. Verwunderlich war jedoch die Stärke der Geister, die in der Lage waren die Eisenketten zu verschiebnen, aber meine bisherige Auffassung ist, dass dies nur aufgrund der Fülle der Geister geschehen konnte. Dies hat mich übrigens bewogen in diese Wanne umzuziehen,? schloss sie. ?Auch das würde einer nähere Betrachtung und weiterer Recherchen bedürfen.?
"Dann hast du ja für heute mehr als nur genug zu tun, ich bin gespannt, ob das Licht unseres Drachen für all diese Untersuchungen reichen wird ehe sein Auge schwindet und sein schwarzer Bruder übernimmt. Es ist Zeit zu handeln, Minea... " Und in der Tat, diesmal schien er nicht noch längere und genauere Ausführungen hören zu wollen.
Dieses Verhalten war ungewöhnlich und sie überlegte, ob sie seine Geduld wohl auf die Probe stellen sollte. Sie schmunzelte innerlich und fuhr fort: ?Oh, noch eine Sache, weil dies ja der Grund war, warum ich herkommen sollte. Gespräche mit den Geistern waren lediglich anfangs möglich, insbesondere mit der Familie. Das änderte sich jedoch schlagartig mit deren Ermordung. Auch hier eine Vermutung schlicht und ergreifend, weil die Hexe einem das gezeigt hat, was man sehen wollte oder sollte. Da hier mit dem beschriebenen möglicherweise eine Manipulation des Geistes vorliegen könnte, würde ich mich im Übrigen über eine Überprüfung einer möglichen weitreichende Beeinflußung meinerseits freuen, wenn es eure Zeit erlaubt.? Dann räusperte sie sich, was stets damit einherging, dass sie auf etwas Unangenehmes zu sprechen kam. ?Die Quellen der Geister habe ich im Übrigen nicht ausschalten können, weil es mir in Betracht der Bedrohung nicht ratsam erschien. Dafür habe ich eine genau Vorstellung davon, wo sie sich befinden könnten.? ?Oh, toll!? Rief ihre innere Stimme. ?Dein Meister wird sich über den Grad deiner Untätigkeit sicherlich freuen, kleine rote Magierin! Und außerdem solltest du aufhören ihn zu reizen ? er sagte handeln!? Diese Stimme völlig ignorierend und im vollem Bewusstsein zur Gereiztheit ihres Lehrmeisters im Wesentlichen beizutragen, machte sie einige Schritte auf die Küchenanrichte zu und nahm einen der Becher vom Regalbrett. Sie kippte den Inhalt aus und hielt triumphierend eine kleine Kette hoch. ?Wie ich vermute, handelt es sich hierbei um die Quelle der Mutter. Die anderen Quellen befinden sich...? Sie blickte sich um und zeigte dann auf die Klappe im Boden. ?...dort! Möchtet ihr weiterhin nur ein Zaungast sein oder möchtet ihr euch an der Zerstörung beteiligen?? Sie lächelte, aber es war recht deutlich zu erkennen, dass dieses Lächeln eher süffisanter Natur war. Sie genoß es sichtlich sich für diese Nacht an ihm mit einem langen Redeschwall zu rächen.
Sein rechtes Auge begann zu zucken. "Und dir den ganzen Spaß verderben?" Die Stimme war zuerst kalt aber es mischte sich eine unangenehme Süße hinzu. "Minea, das hier ist deine Aufgabe, nicht meine, aber bedenke eins, geliebtes Töchterchen... du kommst hier nicht raus ehe die Sache erledigt ist... und während ich sicher bin, dass du eine Woche ohne Essen ausharren kannst... möchtest du nicht zur Feier des Tages etwas aus diesem Becher TRINKEN?" Das Lächeln zeugte von einer morbiden Freude.
Minea spürte ihre ausgetrocknete Kehle und ihre trockenen Lippen. Sie hatte Durst. Und sie spürte ihre Knie weich werden. Was passierte hier gerade? Was wenn das gar nicht Brychan war? Prüfte er sie? War das die Hexe? Sie war sich nicht sicher. So gar nicht, aber sie spürte leichte Panik in sich aufsteigen und versuchte diese zu unterdrücken. ?Dein Meister ist komisch,? echote die innere Stimme, doch Minea war bereits dabei die zweite Kette von ihrem Gürtel zu nesteln. ?Ich habe keinen Durst, Meister. Danke,? gab sie höflich zurück. Was wenn sich die Hexe in ihrem Geist eingenistet hatte? Was wenn sie mit ihr spielte? Sie musste weiterreden. ?Und Dank Eurer herausragenden Ausbildung werde ich es wohl auch einige Tage ohne etwas zu Essen hier aushalten bis die die Aufgabe zu Eurer Zufriedenheit erledigt habe...? Sie musste augenblicklich Distanz schaffen und die Lage überprüfen. Und sie musste diese verdammten Quellen ausschalten.
"Nervös? Ist dir auch aufgefallen, dass obwohl es hier nur so von Illusionen und Trugbildern wimmelt, du einfach aus deiner Wanne gekommen bist? Oder bin ich dir zu unheimlich, weil ich dir genau die Facette offenbart habe, die den wahrhaft großen Strick an dieser Aufgabe ausmacht? " Er blickte kurz zu ihrer zweiten Kette, dann wieder an ihr hoch. "Vielleicht kann dir Aeris verraten, ob ich der bin für den du mich hälst oder nicht."
Minea biss sich auf die Unterlippe und blickte zu der Wanne. Sie bereute es inzwischen hinausgestiegen zu sein und überlegte sich mit einem Hechtsprung rüberzuretten. Wenn es Brychan war, würde er sie niemals durchlassen und wenn es die Hexe war, dann vermutlich erst recht nicht. Sie ärgerte sich inzwischen maßlos über sich selbst. Tatsächlich jedoch ärgerte sie sich noch weitaus über ihre falschen Stolz ihre Fehler nicht eingestehen zu wollen. Und noch viel mehr, dass sie zu lange nachdachte. Alles hatte so gut angefangen und nun hasste sie diese Übung. Wie hatte sie nur in eine so dumme Falle hineinlaufen können. ?Warum Aeris?? Fragte sie ohne Brychan aus den Augen zu lassen. ?Wäre es nicht besser selbst einen Vorstoß zu wagen?? Ihre zweite Hand nestelte bereits an der Salzbombe. Sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, was Aeris hier ausrichten sollen könnte, aber sie musste versuchen Zeit zu schinden. Wäre diese Gestalt die Hexe, dann war es besser Salz und Ketten parat zu haben. Das würde klar ihr Überleben sichern. War es Brychan, würden weder Ketten noch Salz helfen. Vermutlich würde er angreifen und sie weitestgehend schutzlos vorfinden. Es würde zweifellos böse enden, aber sie würde überleben. Nun ja, ihr Stolz würde einige Kratzer und Blessuren davontragen, ebenso ihr Körper, aber so war es wohl nun mal Lehrling zu sein.
"Nun, zuallererst ist Aeris ein weiteres paar Augen und im Gegensatz zu dir, kennt er mich tatsächlich und damit meine ich meine Aura, meinen Astralleib und meine Seele. Er ist ein Werkzeug, dass du nicht bedienen musst, dass selbstständig arbeitet und als Elementargeist gegen vieles was dir hier entgegengestellt wird, schlichtweg immun ist. Zu Schade für dich, dass er kein Wasserelmentar ist, aber dann würde ja der Reiz der Übung verlorengehen. Natürlich hast du nicht die Zeit ihn jetzt zu rufen, denn du weißt ja nicht wer ich bin, tragischer Weise. Beim Hechtsprung zurück in die Wanne riskierst du einen fatalen Hieb in die Seite und ohne Luft in der Lunge zaubert es sich so schlecht. Oder aber du wirfst mir Salz an den Kopf und versuchst einen Kreis zu ziehen. Versuch also die Robe zu treffen, denn wenn ich etwas im Auge habe, setzt es was... "
Das klang so sehr nach Brychan. Und es klang so unglaublich nach Schmerzen, wenn er sie angreifen würde. Minea schluckte ihre Wut hinunter. Dafür war jetzt keine Zeit. Dummerweise hatte die Hexe oder Brychan recht mit all ihren oder seinen Ausführungen und es war so oder so ein dummes Gefühl. Sie schickte inständig ein Stoßgebet zum Roten Vater es möge eine Übung sein und der Angreifer wäre ?nur? Brychan. Mit all dem, was danach folgen würde, würde sie umgehen können, aber sie würde es zumindest überleben. Im nächsten Moment fiel ihre Kette krachend zu Boden, aber Minea schaffte es sie zumindest zwischen sich und den potenziellen Geist zu bringen. Im nächsten Augenblick flog auch schon die Salzbombe und noch während des Wurfs konnte sie es nicht fassen, dass sie tatsächlich die Anweisungen ihres Gegner gefolgt war und nicht versuchte härter und zielgerichteter im Gesicht zu treffen. Wäre der Gegner tatsächlich Brychan wäre dies sicherlich besser, aber so befand sie den Angriff allenfalls als leidenschaftslos. ?Zieh deinen verdammten Dolch,? dröhnte es in ihrem Hinterkopf und tatsächlich hörte Minea dieses Mal auf ihre innere Stimme.
Die Salzbombe zersprang an seiner Brust und er blieb ruhig stehen... blickte an sich herunter und wischte das Salz ab, dann sah er zu seiner Tochter die mit gezücktem Dolch vor ihm stand. "Wie gut, dass sich jemand zum Waschdienst gemeldet hat, falls Sie hier herauskommt. Was machst du als nächstes?"
Minea presste die Lippen aufeinander. ?Ich glaube, mich entschuldigen Euch nicht direkt erkannt zu haben, Vater,? murmelte sie kleinlaut. Sie ließ den Dolch sinken, denn sie würde Brychan unter keinen Umständen angreifen. So lange die Gestalt vor ihr nicht eine minimale Reaktion auf Salz zeigte, war sie offensichtlich keine Geistergestalt. Aber was war, wenn die Gestalt fleischlicher Natur war, aber dennoch nicht Brychan selbst. Der Dolch ruckte mit einem Mal wieder hoch und ihre Stimme gewann an Zuversicht. ?Und um sicher zu gehen tatsächlich überprüfen, ob du der bist, der du vorgibst zu sein. Also - Wie heißt die Akademie an der du warst und wo liegt diese?? Das Gute an dieser Frage war, dass Minea sich nicht mehr an den Namen erinnern konnte, er folglich schwer herauszufiltern sein würde aus ihre Gedanken und Erinnerungen, sofern sie unter Beeinflußung stand. Sie hoffte inständig, dass Brychan dieses Spiel mitspielte denn sie verfügte derzeit nur über wenige Mittel tatsächlich zu überprüfen, ob er tatsächlich er selbst war, wenn sie annehmen musste, dass jemand sich ihrer eigenen Gedanken bemächtigt hatte.
"Das elfische Seminar der Verständigung und natürlichen Heilung zu Donnerbach" sagte er, nun fast amüsiert. "Hübsche Elfinnen, Kleekreis, Nackt, Inquisitor... wenn dir das weiterhilft"
Jetzt, wo er den Namen erwähnte, erinnerte sie sich wieder. Außerdem konnte sich so etwas niemand ausdenken. ?Das klingt korrekt... Und jetzt habe ich wohl ein Problem... Hilf mir, ich weiß nicht, wie ich feststellen soll, ob du echt bist ohne dich zu untersuchen. Da ich aber nicht weiß, ob ich nicht selbst befangen bin, macht diese Analyse doch keinen Sinn... Habe ich an dieser Stelle einen Denkfehler?? Minea stieg nun also von ihrem hohen Ross runter. ?Ich habe erkannt, dass ich einen Fehler gemacht habe...? Sie hasste es das zuzugeben, aber es gehörte einfach dazu zu erkennen, wenn man nicht weiterkam. Und wenn sie eines in ihrer Zeit in Astrakhan gelernt hatte, dann dass man hier nicht ohne Hilfe überleben konnte. Noch dazu war sie ein Lehrling und man erwartete gewissermaßen, dass sie Fehler machte, um eben aus diesen Erfahrungen zu lernen. Sie blickte Brychan fest an, versuchte sich ihre Verzweiflung nicht anmerken zu lassen, doch sie wusste, dass er sie förmlich spürte und vermutete, dass er sich genüßlich an ihrer Verzweiflung labte. Es war wirklich nicht leicht ihn zu mögen.
"Ohne mich zu untersuchen? Das habe ich dir bereits gesagt, wenn du selbst fürchtest beinflusst zu sein, brauchst du einen Dritten der deine Beobachtung verifiziert. Wenn du selbst untersuchst, was vor dir ist, halte Ausschau nach magischen Auren der Illusion. Selbst wenn ich ein Trugbild bin und ein zweiter Zauber die Illusion verschleiert, so hat dieser zweite Zauber eine Aura. Magie hinterlässt immer Spuren. Wenn du fürchtest selbst befangen zu sein, rette dich dahin wo du glaubst, dass dein Geist am freiesten ist und errichte dort deinen Schutz, dann versuche zu brechen, was du vermutest da zu sein. Errichte eine Festung und säubere die Straßen darin auf Verdacht. "
Minea nickte, blieb jedoch skeptisch. "Ohne Aeris´ Hilfe wird es nicht möglich sein hier weiterzukommen fürchte ich. Ich habe ihn tatsächlich nicht mitgenommen," erklärte sie ohne den Dolch sinken zu lassen. Für sie war der Luftelementar noch immer ein rohes Ei, dass sie nicht beschädigen oder verlieren wollte. Außerdem schien Aeris im Wesentlichen sehr freiheitsliebend und daher schwer wieder davon zu überzeugen in sein Gefängnis zurückzukehren. "Sicherlich wäre die Wanne ein guter Ort, um gegen Geister Schutz zu finden. Immerhin hat sie sich bewährt in der vergangenen Nacht. Um zu dieser zu gelangen, müsste ich an euch vorbei, was schwerlich möglich sein wird, da ihr ein Interesse daran haben könntet, dass ich die Wanne eben nicht erreiche. Der nächste sichere Ort ist daher noch immer mein Kettenkreis. Dennoch schützt dieser mich nur vor Geistern und nicht vor physischen Angriffen. Gegen diese Angriffe kann ich mich schützen, indem ich zusätzlich zu den Ketten einen zweiten Kreis errichte, um meine Untersuchungen einzuleiten. Aber habe ich im Ernstfall die Zeit dies zu tun? Ich denke nicht, es sei denn Ihr räumt mir diese Zeit ein. Ich nahm allerdings an, Ihr wolltet pragmatischere Ansätze von mir sehen..."
"Richtig... allerdings warte ich immernoch darauf dass du dein Geschwafel beendest und endlich handelst." Er wirkte gereizter. "Letztlich wird sich die Welt nicht für dich verbiegen und du wirst die Risiken abwiegen müssne, die beste Option wählen oder in diesem Eck versauern. Friss oder Stirb, liebste Tochter."
Minea rümpfte die Nase, nestelte jedoch an der Innenseite ihrer Robe bis eine kleine Lupe zum Vorschein kam. Diese Spielerei warf sie im Zeitplan weit zurück endlich die Quellen der Geister still zu legen, aber wenn Brychan sich in den Kopf gesetzt hatte die Prüfung auszuweiten, dann war es eben so. Es brachte also nichts die Situation durchzusprechen, zumal er bereits gereizt schien. Sie musste endlich diese Lehrzeit abschließen... Musste? Nein, musste und wollte sie auch eigentlich nicht. Noch hatte sie bei Weitem nicht das gelernt, was sie später brauchen würde. Sie war noch nicht so weit und das war ihr klar. ?Kannst du dich vielleicht mal wieder konzentrieren?? Meldete sich ihre innere Stimme wieder. Ein kurzes Räuspern und dann endlich eine Formel. Minea hatte sich endlich entschlossen sich Brychan anzuschauen. Die Kette schützte sie vor Geistern, aber einem Angriff würde sie wohl nicht standhalten.
Der Magus blieb ruhig stehen und wartete ab, wertvolle Zeit verstrich was genaugenommen der Grund war warum er hier war... als Verzögerung. Wie lange seine Schülerin aber brauchte sich durchzuringen überhaupt etwas zu tun überraschte ihn. Er macht eine mentale Notiz, für spätere Stunden ehe er wieder zu ihr sah und sich fragte wie er die Situation wohl aufgelöst hätte.
Zumindest untersuchte Minea die Situation gründlich ? erst Brychan und dann sich selbst, aber man spürte einen gewissen Widerwillen in ihrem Tun. ?Da ist nichts,? sprach sie schließlich. ?Zumindest nichts Ungewöhnliches...? Also nicht Ungewöhnlicher als sonst. ?Kann ich nun mit den Quellen fortfahren??
" Deine Entscheidung, wie alles hier. "
Die Aussage kam ja früh. Sie zuckte mit den Schultern. Dann war es so. Jetzt wo sie annahm, dass es sich bei der Person vor sich tatsächlich um Brychan handelte, konnte sie endlich in Ruhe weiterarbeiten. Sie steckte ihren Dolch und auch die Lupe weg, davon ausgehend, dass ihr eigener Meister nicht ihre Arbeit sabotieren würde. Dann sortierte sie die Eisenkette am Boden und legte diese ordentlich aus, so dass sie nirgends ein Schlupfloch bot ein verband die losen Enden sorgfältig. Man konnte inzwischen die Routine erkennen mit der Minea diesen Dingen nachkam und man spürte sofort, dass sie gerne alleine arbeitete. Sobald Brychan seinen letzten Satz ausgesprochen hatte, schien sie ihn regelrecht zu ignorieren und begann ihr Programm runterzuspulen: fein säuberlich streute sie den Boden mit einer Mischung aus Salz und Eisenspänne aus, entnahm ihrer Tasche einen Behälter aus grünlich- gräulichem Glas und warf die Halskette, die sie während des Gesprächs an sich genommen hatte, hinein. Im Anschluss verplombte sie das Behältnis und steckte es zurück in ihre Tasche. Dann wandte sie sich der Öffnung im Boden zu, die sie vorsichtig aufstemmte, aber noch nicht öffnete. Sie schien sich geistig auf das zu wappnen, was sie dort vorfinden würde und sie wusste, dass sie es nicht mögen würde. Brychan schien sie inzwischen gänzlich ausgeblendet zu haben. Dann griff sie nach der Bodenklappe und öffnete sie. Jegliche mentale Vorbereitung hatte sie nicht auf das Grauen vorbereiten können, was sie dort sah als sie hinunterblickte. Berge von Knochen, Kleidung und persönlicher Gegenstände befanden sich dort. Ein schwerer Hauch von Verwesung schwappte zu ihnen nach oben. Minea versuchte krampfhaft ein Würgen zu unterdrücken und schlug eine Hand vor Nase und Mund, ehe sie das Tuch um ihren Hals hochzog. Und dann geschah tatsächlich etwas, was recht ungewöhnlich war für sie und eben an der Stelle, an der man vermutlich erwartet hatte, dass sie sich zieren würden und Angst hätte sich schmutzig zu machen, ergriff die Magierin eine kleine Kerze sowie den Keil für die Bodenluke und stieg ohne ein weiteres Wort die schmale Treppe zum Keller hinunter. Oben hörte man ein Knirschen von Knochen als sie von den Stufen sprang, jedoch kein Murren, Knurren oder auch nur ansatzweise ein leises Würgen.
"Und so schnell konnte man sich von einem in die Ecke getriebenen Naseweis zu einem Fachmann wandeln..." dachte er sich. Er war gelinde gesagt überrascht, nicht darüber dass Sie fein säuberlich arbeitete... das hatte Sie schon immer gut können, sondern die Tatsache das Sie nicht den Boden vollreierte überraschte ihn. Sie hatte zumindest während seiner Ausbildung nicht so viel Kontakt mit Verwesung gehabt. Er behielt Sie im Auge, von oben, denn die nächste Gefahr lauerte schon... er schmunzelte... "Vnd ês stunk gar fürterlic, so dat êr von der Schaukl fiel und wart dastunkn und dot. " war die laienhafte Zeile von Minderbelesenen aus seiner Heimat zu einem tragischen dreifachen Todesfall beim vergrößeren einer Senkgrube gelautet hatte... für den Tod durch Verwesungsgase. Freilich musste er nciht recht behalten mit seiner Aussage, er wäre froh wenn es nicht so war, aber mit langer Dienstzeit in diesem Geschäfte sammelte man eine gewisse Vorsicht an.
Hinter ihrer Maske verzog Minea sehr wohl das Gesicht. Es stank fürchterlich und sie musste zugeben, dass sie das unterschätzt hatte. Allerdings war dies bei Weitem nicht die erste Gruft, in die sie hinabstieg. Sie hatte viele Stunden an Grab ihrer Mutter und ihres Vater verbracht und ihre Körper in jeglichen Stadien der Verwesung und des Verfalls beobachtet. Aber diese Leichen waren anders. Kaum ein Körper war beisammen, die Knochen lagen lose und achtlose beiseite geworfen herum. Die Magierin streifte sich ihre Handschuhe über und schritt über die Knochen hinweg, sich immer wieder suchend umsehen. ?Aha, das ist es ja...? Sie hatte offensichtlich etwas ausgemacht, was sie gesucht hatte. Vorsichtig ging sie in die Knie und griff nach etwas, was wie eine Decke aussah und versuchte sie vorsichtig rauszuziehen unter all den Schädeln und Knochen. Die Decke stecke fest und Minea ruckte fest an ihr. Plötzlich umfasst eine vergilbte Hand ihren Unterarm. Die Magierin erschrak und versuchte ihren Arm wegzuziehen. Ertaunlicherweise schrie sie nicht, aber die Veränderung der Szenerie war vermutlich bis oben deutlich zu spüren. Ihr Atem ging schneller und stoßweise. Mehr und mehr von dem Verwesungsgeruch gelangte in ihre Lunge. Sie röchelte und würgte während sie versuchte sie loszureißen. Was war das nur?
"Ihr wisst, wer diese Übung abhält?" hallte es in seinem Kopf wieder und dann ein schnippen ehe die versammelte Hochschülerschaft von Zombies attackiert wurde. Er fragte sich ob sich seine Schülerin besser halten würde, jetzt da sie die Höhle des Löwen betreten hatte. Er erwischte sich dabei wie er einschreiten wollte... aber noch war sie nicht hoffnungslos unterlegen, er musste sich zu siener kühlen Fassade ermahnen.
Ruhig atmen. Ruhig atmen. Diese Anweisungen hämmerte in ihrem Kopf. Sie versuchte sich zu beruhigen und erneut flacher zu atmen. Dieser Geruch war so überwältigend scheußlich, dass sie Angst hatte sich zu übergeben, doch sie versuchte all ihre Körperbeherrschung aufzubieten dies nicht zu tun. Noch hielt dieses Ding nur ihre Hand fest, aber das tat es zumindest mit einer ganz klaren Vehemenz. Wegziehen war also nicht möglich, aber schneiden war durchaus eine Möglichkeit. Im nächsten Moment hatte Minea ihren Dolch in der Hand, sucht sich sie schwächste Stelle am Übergang zwischen Ober- und Unterarm und säbelte das Fleisch vom Knochen. Ihr war durchaus bewusst, dass der Verlust seines Arms dem Ding nichts ausmachen würde, zumindest muckte er nicht wirklich. Das Fleisch war sehnig und fast völlig aufgetrocknet und es war schwer sich durchzuschneiden. Sie versuchte auf die Beine zu kommen, stemmte ihren Fuß gegen den Arm und brach ihn durch. Es knackte laut. Die Hand hing allerdings noch immer samt Oberarm an ihrer Hand, aber sie war frei. Sie schnappte sich die Decke, wegen der sie hier runtergekommen war und wandte sich zum gehen als sie eine weitere Hand an ihrem Fußgelenk spürte. Nur konnte dieser Arm unmöglich von dem gleichen Ding stammen, dem sie gerade den Arm abgetrennt hatte ? hoffte sie zumindest. Der Boden begann langsam unter ihren Füßen zu vibrieren. DAS war der Moment Alarm zu geben. ?Sag mir bitte, dass du das machst,? rief sie nach oben. ?Sonst haben wir hier gleich ein echtes Problem!?
Brychan zog eine Augenbraue hoch, "Warum? Vergiss nicht in welchem Haus du lernst... Kampfmagierin. Hiebwaffen mit Schneiden gegen Zombies, Wuchtwaffen wie Hämmer gegen Skelette. Hoffentlich hat eine der Leichen da unten etwas besseres als deinen Dolch. " Es brodelte da unten, hatte seine eigene Präsenz der, der Baba Yaga einen Schub verpasst? Er hatte mit einer Hand voll physischer Untoter gerechnet. Oder spielte sie mit der Angst seiner Schülerin? Er umfasste jedenfalls seinen Stab kaum merklich fester, machte sich sprungbereit.
Wie konnte sie das vergessen? Er erinnerte sie ja stets daran. ?Ich weiß, Vater,? presste sie hervor. Sie versuchte einen kühlen Kopf zu behalten und säbelte gerade vorgebeugt an der Hand der Kreatur herum, die ihren Fuß festhielt. Ihre Gedanken rasten durch den Kopf und sie überlegte, was sie ihnen entgegensetzen sollte. ?Kann es sein, dass mein Meister mir bisher noch keinen wirklichen Angriffszauber beigebracht hat?? Rief sie nach oben. Von wegen Kampfmagier! Sie war mit Sicherheit keine, das war klar ? zumindest in diesem Moment nicht. Noch immer bebte der Boden unter ihr und sie spürte wie die Knochen langsam ins Rollen kamen. Eine weitere Hand schoß hoch und umfasste ihre Dolchhand. Minea verdrehte die Augen. Das war auch irgendwie klar. Sie ließ den Dolch los, trat zu. Die Hand brach. Ihr Dolch war zwar frei, aber leider hing auch hier wieder eine abgebrochene Hand dran. ?Igitt,? murmelte ihre innere Stimme. Diese Dinger wurden langsam lästig, aber wenn Brychan der Meinung war, dass dies eine gute Übung sein, dann war es eben so ? wie schon mit der Übung zuvor. Sie steckte den Dolch weg, steckte sich die Decke, die sie hier gefunden hatte an den Gürtel und nestelte an ihrer Befestigung für den Streitkolben während sie langsam rücklings zur Treppe lief. In der Halbdunkelheit schälten sich einige Gestalten aus dem Boden. Die Magierin blickte auf ihre Kerze in der Befestigung. Kein Flackern, also auch keine Geister. Das hier waren richtige Untote. Diese Erkenntnis ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Die waren nicht von Brychan. Er würde niemals Untote erheben. Das war verboten. Sie schluckte als ihr das Ausmaß der Situation klar wurde. ?Das ist keine Übung, richtig??
"Das wäre es wenn sich diese alte Hexe nicht so aufbäumen würde, " womit er in die Tiefe sprang. Krachen und knacken der Knochen war zu hören als er auf ihnen zum stehen kam. " Also doch ein sehr aktiver Fluch, der sein Ende näherrücken spürte.
"Erledige so viele von Ihnen wie du kannst. "
"Inflamara, Frater Flamma" sprach Brychan und sein Stab begann laut zu knacken, wie verbrennendes Holz und nahm unter Glut, Asche und Feuerfunken die Form eines Bidenhänders aus Feuer an. Das erhellte den Raum voller Leichen auch gleich ein wenig.
Minea hatte inzwischen den Streitkolben in der Hand während er zu ihr hinuntersprang und hatte bereits ihren ersten Schlag gegen diese Kreatur gesetzt. Sie war erstaunt wie leicht es ging und wie gering ihre Hemmschwelle war. Es genügte ein Streich und der Gegener fiel zu Boden. Die Frage war nur, wie lange dies so bleiben würde. Mit einem gezielten Fingergriff zog sie mit ihrer freien Hand ihren Fächer hervor, der sich mit einem lauten Klacken öffnete. Parallel spürte sie die Hitze in ihrem Rücken als Brychan seinen Zauberspruch sprach und instinktiv fragte sie sich, ob Feuer in einem Holzhaus eine so gute Idee war. Aber was wusste sie schon ? er war der Meister und sie nur der Lehrling. Im selben Moment griff etwas nach ihrer Robe. Es war eine weitere Hand, die aus dem Boden schoß, aber nicht lang genug Zeit hatte den Rest des Körpers zu offenbaren bevor krachend der Streitkolben auf Haut und Knochen niederfuhr. Die Jaga schien wirklich ihr Ende zu spüren, denn dieser Untoten ließen ihre Verzweiflung vermuten. ?Ich glaube, ich habe die Quelle gefunden... Es ist die Decke, die die Jaga als Mädchen dabei hatte und in die auch später ihr Bruder eingewickelt war. Wir sollten sie zerstören!? Die Quelle hatte so hell im Untergeschoss zwischen all den Knochen geleuchtet, dass sie für Minea schnell zu lokalisieren gewesen war. Nun hatte sie die Decke bei sich und war damit vermutlich das erklärte Ziel der Jaga ? oder auch Brychan, der sie ja auch unter anderem schützte.
Brychan machte seinen ersten Schritt auf einen der Zombies zu, die brennende Klinge schnitt durch das vertrocknete Fleisch, wie ein warmes Messer durch Butter... eine dämliche Allegorie, wenn man die brennende magische Klinge betrachtete... Der Untote zerfiel...
Offensichtlich hatte Brychan vor sich hier durchzukämpfen und sie musste zugeben, dass ihr der Gedanken nicht wirklich gefiel, auch wenn der Kampf gegen die untoten Kreaturen im Moment besser verlief als gedacht. ?Na, hast du etwa Blut geleckt?? Fragte ihre innere Stimme amüsiert, woraufhin die Magierin lediglich als Antwort die Zähne zusammenbiss. Sie würde sich jetzt auf keine Diskussion einlassen. Es war notwendig zu kämpfen um zu überleben, also tat sie es. War das wirklich so? Sie dachte kurz nach und wog ab. Hatte sie Spaß? Einer der Untoten schlurfte an sie heran und ein weiterer Schlag sauste auf ihn hinab. Sie würde morgen furchtbaren Muskelkater haben, so viel stand fest und ärgerte sich im nächsten Moment darüber so ungeübt zu sein mit dieser Waffe. ?Du hast ja doch Spaß,? witzelte ihre innere Stimme. ?Habe ich nicht,? brummte sie leise. ?Hast du doch! Gib es zu! Endlich kannst du all das rauslassen, was du immer für dich behalten hast hinter deiner Fassade aus Etikette und feinem Benehmen,? schallte es fröhlich zurück. Doch die Magierin sondierte einfach nur die Lage. Sie hasste es, wenn die Stimme recht hatte.
#4
Der Kampf dauerte einige Zeit und als er endlich vorbei war, war Minea doch verwundert, mit welch Hingabe sie diesen Kampf ausgefochten hatte. Aber gerade als sie dachte, dass der Kampf vorbei war und sie alle Untoten zerschlagen hatten, vernahm sie aus der dunklen Ecke des Keller ein leises kehliges Lachen. Im nächsten Moment begann erneut der Boden unter ihnen zu beben und die junge Magierin erkannte ihren fatalen Irrtum. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen als der erste Untote sich vor ihr erneut erhob. Sie hörte Brychan irgendetwas rufen, doch die Worte drangen nicht mehr an ihr Ohr. Fast schien es so, als ob ihr Gehör ihr in die Magengegend gerutscht sei und ihr Körper nun überlegte ihr Inneres nach außen zu stülpen. Noch während sie sich fragte, ob sie gerade manipuliert wurde, stellte sie fest, dass sie sich aus irgendeinem Grund begonnen hatte vorwärts zu bewegen. Sie ließ die Untoten links und rechts von sie liegen und wenn sie ihr im Weg standen, schlug sie mit dem Streitkolben zu. So hing es bis sie die letzte Ecke des Kellers erreicht hatte. Das kehlige Lachen war hier lauter und Minea kam nicht umhin zu denken, dass die Stimme sie verhöhnte. Sie schien noch nicht einmal bemerkt zu haben, dass sie den Fächer während des Laufens gezogen hatte und nun laut und deutlich die ihr folgenden Untoten zurückschleuderte, bevor sie sich zu der Stimme umdrehte und zuschlug. Sie schlug und schlug erneut. Dann noch einmal, aber ihre Handlung war keineswegs unüberlegt oder kopflos. Es fühlte sich mehr an, also ob sie einen Nagel in ein Brett hämmern würde und gerade einmal so viele Schläge setzte, wie es brauchte um den Nagel im Holz zu versenken.
Als sie fertig war, drehte sie sich zu ihrem Vater um, der in der Mitte einer Flut an zusammengesunkenen Skeletten stand und sie zu beobachten schien. ?Sein Geist ist jetzt erloschen,? sagte sie ruhig und ging zu ihm hinüber. Sie rümpfte die Nase als sie auf die Untoten hinunterblickte, die er mit seiner Flammenklinge zerteilt hatte als abermals eine Hand nach ihrem Fuß griff.
?Aber...? Ihr Blick glitt zurück zu dem Nekromanten, der tot in der Ecke des Kellers lag. Seine Seele war dunkel. Minea´s Stirn lag in Falten als sich der gesamte Keller zu regen begann. ?Geh und zerstör die Quelle,? rief Brychan ihr zu und hieb mit seinem Schwert nach der Hand, die ihren Fuß hielt.
?Und du?? Ihr schossen noch weitere 20 Fragen durch den Kopf, aber es war besser nicht mit Brychan zu diskutieren. Die Anweisung war klar und es war auch ursprünglich das, was sie hatte tun wollen, also gab es keinen Grund nun nicht daran festzuhalten. Sobald ihr Fuß wieder los war, beeilte sie sich abermals die Küche zu erreichen und dort fein säuberlich die Ketten auszulegen und miteinander zu verknüpfen.
Sie hörte wie im Keller unter ihr ein heftiger Kampf entbrannt war und sie fragte sich kurz, wie es ihrem Meister ging. Sie wusste, dass sein Scheitern auch ihr Scheitern bedeuten würde und umgekehrt. Wenn er nicht stand hielt, würden die Untoten sich ihren Weg nach oben bahnen und die überrennen. Wenn sie nicht schnell die Quelle der Jaga zerstörte, würde der Spuk hier nicht ein Ende nehmen. Noch nie waren sie von den Handlungen des jeweils Anderen abhängig gewesen und nun würde dieses Situation zeigen, wie eingespielt sie inzwischen waren. Dumm war nur, dass es lediglich diesen einen Versuch gab.
Minea arbeitete unter Druck ohnehin am Besten. Die stellte zunächst ein Indikatorenlicht auf, um die Präsenz von Geistern ermessen zu können. Es war höchst ungewöhnlich, dass Geister am Tage umgingen, aber mit einer Jaga im Rücken konnte ohnehin alles passieren. Dann nahm sie eine Schale aus dem Regal, füllte Lavendel hinein und begann dieses zu verbrennen.
Noch immer tobte der Kampf im Keller, was auf der einen Seite gut war, denn es zeigte ihr, dass sie noch nicht verloren waren. Sowohl das Licht als auch die Schale nahm sie mit in ihren Kettenkreis und stellte beides behutsam dort ab. Sie zog die Decke des Mädchens von ihrem Gürtel und fischte eine kleine silberne Plombe aus ihrem Mantel heraus. In dem Moment, in dem sie die Plombe auf die Decke drückte, spürte sie wie das Miasma um sie herum aufwallte. Das Indikationslicht flackerte hell auf. Ektoplasma waberte trotz Tageslicht, das in die Küche fiel, um die Ketten herum. Eisige Kälte kroch über den Boden und ergriff von der Magierin Besitz. Der Nimbus der Quelle begann zu pulsieren wie ein Herzschlag. Das Ektoplasma begann zu schimmern und mit der Manifestation dieser Aura kam auch das Grauen. Irrationale Panik machte sich in Minea breit und füllte sie an mit Mutlosigkeit ihren Plan niemals erfolgreich umsetzen zu können. Der Boden war innerhalb von Sekunden übersät mit Eiskristallen, in denen sich mädchenhafte Fußstapfen bildeten und auf sie zukamen.
?Gib mir die Decken, kleine Magierin,? flüsterte die leise Stimme. ?Gib sie mir!?
Die Präsenz dieser Gestalt kratzte über den Schutz der Magierin wie Fingernägel über eine Tafel und Übelkeit machten sich in Minea breit. Sie roch den Tod, der von dem Geist ausging und viel schlimmer noch, sie schmeckte ihn. Dennoch schien sie nicht in der Lage zu sein sich zu bewegen. Sie war wie erstarrt. Unnatürliche, stechende Kälte überwältigte sie und ließ ihre Glieder taub werden. Eisiger Druck presste die Luft aus ihrem Körper und sie spürte wie ihr das Denken immer schwerer fiel.
Der Geist schien ungeduldig zu werden. ?Gib sie mir!?
Die Magierin keuchte und griff an ihrem Hals.
?Jetzt!? Die Stimme fauchte knurrend und der Geist glitt an die Ketten heran. Das Gefühl der Kraftlosigkeit und Benommenheit nahm ruckartig zu.
?Va-ter...? Minea´s Stimme klang heiser und schmerzerstickt.
?Schrei nur! Er hört dich nicht!? Der Geist lachte höhnisch.
Minea schloss die Augen. Die Wirkung der Erscheinung beeinträchtigte nicht ihren Geist, lediglich ihren Körper. Und der Körper wirkte auf ihren Geist. Sie versuchte einen klaren Kopf zu bekommen und verlangsamte ihre Atmung. Sie begann Kraft zu schöpfen aus ihrer inneren Stärke und konzentrierte sich auf die Wanne, die am Ende des kleinen Raumes stand. Sie gab dem Gegenstand einen geistigen Ruck und er glitt wie auf Kufen über den hölzernen Boden der Küche.
Der Geist schien für einen Moment irritiert zu sein als die Eisenwanne auf ihn zu kam und da war genau der Moment auf den Minea gehofft hatte.
?Jaga!? Rief sie laut und deutlich, die Zeit nutzend die der Geist irriert vor dem Metall zurückwich. Etwa zeitgleich spürte sie auch wieder den Fokus der Hexe auf sich ruhen, noch unerbittlicher als zuvor. Die Kälte umfloss sie nun nicht nur, sondern bohrte sich tief in ihr Herz. Zeitgleich wurde sie von den Füßen gehoben und ihre Kehle schnürte sich zu. Der Schmerz presste ihr Tränen in die Augen, aber sie hörte auch Schritte. Schritte von unten, die nach oben drangen. Hoffnung. Dann wurde sie ohnmächtig und spürte nicht einmal mehr wie ihr Körper wieder auf dem Boden aufschlug.
Als Minea zu sich kam, brannte ihr Hals. Sie fror und ihr Körper fühlte sich zerschunden. Aus den Augenwinkeln sah sie die Untoten dem Keller entsteigen. Sie hatten offensichtlich gerade die letzte Stufe erreicht. Die junge Magierin überwand ihr Selbstmitleid und ihre Schmerzen, zog ihren Fächer und schleuderte ihren Windstoss gegen die Bodenklappe. Diese knallte zu Boden und stieß die Untoten zurück in den Keller. Mit einem beherzten Sprung aus dem Kettenkreis verriegelte sie die Klappe, glücklich dass sie den Keil anfangs an sich genommen hatte. Erst jetzt registrierte sie ihren Vater und die Jaga, wie sie miteinander kämpften. Es war eine seltsame verdrehte Szene und für einen Bruchteil einer Sekunde hätte Minea schwören könnten, dass der Geist der Jaga sich vervielfältig hatte. Sie zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass Brychan ihr noch viel beizubringen hätte und beschloss ihn später nach diesem Zauber zu fragen.
Sie musste endlich die Quelle zerstören. Minea trat zurück in den Kreis, nahm die Decke und warf sie in die Wanne, die nun neben den Ketten stand. Sie streute die Wanne mit dem brennenden Lavendel aus und drückte eine Plombe nach der Anderen auf die Decke, bis das Meer aus Lavendelblüten endlich auch die Decke erfasste und zu brennen begann. Minea hörte die Jaga aufschreien, aber sie drehte sich nicht um. Sie wusste nicht, ob ihr Meister ihr derart zusetzte oder der Verlust ihrer Quelle. Und eigentlich war es ihr auch egal. Sie nahm noch mehr Lavendel aus der Tasche und nährte damit die Flamme.
Es brannte eine ganze Weile. Sie spürte die Hitze der Verbrennungsfeuers in ihrem Gesicht während hinter ihr die Kälte langsam versiegte. Erst als die Decke vollständig verbrannt war, erhob sie sich und drehte sich um. Sie hatte deutliche Würgemahle am Hals, Blessuren im Gesicht und blauverfärbte Lippen von der Kälte. Brychan stand vor ihr, sein Blick wie immer prüfend. Auch er sah nicht gut aus.
Minea blieb im Kettenkreis stehen. Er brauchte keine Versorgung. Er stand. Und er brauchte niemanden, der ihn bemutterte. Ihr Geist war verschlossen, ebenso wie ihre Miene.
?Welches Tier erwartet dich, wenn du heute nach Hause kommst??
Vermutlich eine klügere Testrage als die am heutigen Morgen, aber die Ernsthaftigkeit hatte seither auf stark zugenommen. Fest stand, dass sie sich nicht aus dem Kettenkreis bewegen würde bis er die Frage beantwortet hatte. In ihrer Hand ruhte der Streitkolben, den sie auf ihn richtete. Offensichtlich hatte der Lehrling etwas dazugelernt.
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