Astrakhan - Mrazovy Hrob
In den Ruinen von Mrazovy Hrob
Minea sah vom Eingang des Holzturms über die geschwärzte Lichtung in Richtung des Birkenwäldchens. Von da sollte ihr Bruder eigentlich kommen. Die Morgensonne schien ihr ins Gesicht, es war warm genug um auf pelzgefütterte Kleidung zu verzichten, die ersten Plagegeister erhoben sich hell surrend aus den feuchten Pfuhlen zwischen den Bäumen.
Da, die weiße Pelzmütze, unverkennbar Grigorij. Neben ihm ein Kerl mit dem verschlagenen Gesicht der einheimischen Stämme, auf dem Rücken ein Bogen, in der Hand einen Stab, der wie selbstverständlich nach sumpfigen Löchern stocherte. Dahinter ein vierschrötiger Kerl mit einer großen Narbe quer über das Gesicht und einer Gleve in der Hand, Seite an Seite mit Lev. Beide schienen sich nicht über den Weg zu trauen, so wie sie sich im Auge behielten. Ihnen folgten ein weiterer Einheimischer mit einem Bogen und ein Riese von einem Mann der eine große Kiepe trug und über und über mit Schnappsäcken und Ledertaschen behangen war. Grigorij grinste Minea entgegen: "Privet Katjuscha, bereit für ein Abenteuer?"
#2
Minea´s Augen verengten sich. Sie war misstrauisch - von Natur aus.
"Privetstvuyu tebya, Grischa... Nach was für einem Abenteuer dürstet es dich denn?" Die Abenteuer von Grigori kannte sie schon. Schweigendes nebeneinander herlaufen bis sie einen der Stämme erreichten, dann stundenlanges Clansgerede und anschließend meist mit oder ohne einen Handel zurück zum Turm. Gelinde gesagt, hatte sie auf ein solches Abenteuer keine große Lust. Sie bezweifelte, dass es auf mehr hinauslaufen würde, auf der anderen Seite, brachte Grigori nur selten solche Leute mit nach Hause.
Ihr Blick fiel auf die Männer, die er mitgebracht hatte und dann wieder auf ihn. Sie legte den Kopf schief. "Freunde von dir?"
"Njet", lies Grigorij in seiner gewohnten Art barsch vernehmen, "aber sie werden uns nach Mrazovy Hrob begleiten wie es Brychan beschlossen hat. Dort dürfte es einiges geben, was uns hier an Materialien fehlt. Dawaj dawaj Katjuscha. Pack deine Sachen, aber denk daran - dort ist es kälter als hier im Süden".
Grigorij grinste Minea breit an, er schien zu hoffen, sie zu überrumpeln.
#4
"Langsam, langsam, Grischa... Was genau hast du wann mit Vater besprochen? Nur weil du sagst, wir gehen, glaubst du doch hoffentlich nicht, dass ich aufspringe und deinen Anweisungen folgen?"
Sie bedachte ihn mit einem herablassenden Blick und rührte sich nicht einen Meter von ihrem derzeitigen Platz.
Innerlich begann sie zu brodeln. Sie hasste diese Banjaabende von Brychan und Grigori, wo sie offensichtlich Dinge besprachen und sie danach nicht über ihre Pläne in Kenntnis setzen. Äußerlich lächelte sie süffisant und ließ sich nichts anmerken.
Grigorij holte aus als würde er zu einer langatmigen, abendfüllenden Geschichte ansetzen: "Wir gehen nach Mrazovy Hrob und bergen so viele Artefakte wie wir finden können. Anweisungsbericht fertig." Mittlerweile waren alle Begleiter am Holzturm angekommen, Lev und der Vernarbte musterten sich noch immer unverholen, der Kerl mit dem Stab hatte sich auf einen großen Stein gesetzt und eine Pfeife ausgepackt, die er zu stopfen begann.
#6
"Sicher, dass du nicht nur dein neues Spielzeug ausführen möchtest..."
Sie zog die Augenbrauen hoch und betrachtete Lev von unverhohlenem Abscheu ehe ihr Blick zurück zu ihrem Bruder glitt.
"Was für Artefakte?"
Auf eine gelangweilte Art und Weise wirkte sie zumindest ein wenig interessiert. Zumindest erhob sie sich und trat näher an ihren Bruder heran, damit nicht alle mithören könnten. Sie hatte leise gesprochen.
"Oh, soweit muss ich ausholen. Na gut", brummte Grigorij während sich der Kerl mit der Pfeife selbige anzündete und der Riese mit dem Gepäck einen einzigartigen Duft nach saurer Butter und nassen Stiefeln verströmte. "Das was wir heute Mrazovy Hrob nennen war einst eine Stadt der Magier die ganz Astrakhan beherrschte. Jahrhunderte war sie im ewigen Eis gefangen, jetzt scheint es an einigen Stellen zu tauen. Wir holen, was dort noch so herumliegt."
#8
Minea rümpfte hinter ihrem Vorhang aus weißen Haarsträhnen die Nase als der Geruch bei ihr vorbeiströmte.
"Das klingt nach einen wohldurchdachten und strukturierten Plan," murmelte sie leise. Es klang so wenig nach Brychan einfach loszuziehen und "irgendetwas" zu holen, was rumlag, aber sie vertraute dahingehend ihrem Bruder, dass ihr Vater ihn angewiesen hatte. Vielleicht wollte Grigori nicht vor den Anderen sprechen, also würde sie ihre Fragen für später aufheben.
"In Ordnung... Ich hole meine Sachen... Soll ich etwas Spezielles mitnehmen? Aeris? Die Falken? Etwas zu Essen? Karten? Decken? Sonst irgendetwas, dass von Nutzen sein könnte?"
Wieder dieses überhebliche Lächeln.
Grigorij nickte "Warme Kleidung, was du zu deinem Schutz benötigst, die Falken. Eine Decke kann auch nichts schaden. Essen trägt Juri hier" mit einem Nicken zu dem Riesen der blöde zu grienen anfängt als sein Name fällt. "Aber vielleicht möchtest du ja etwas Besonderes...Karten gibt es keine von Mrazovy Hrob, aber vielleicht möchtest du ja eine zeichnen Katjuscha?". Er verschwindet in Richtung seines Werkraums, wie auf ein unsichtbares Zeichen schließt sich Lev ihm an. " Wir brechen auf, sobald du alles beisammen hast Katjuscha, es ist ein weiter Weg."
#10
Minea verdrehte die Augen.
"Ich liebe solch unzureichenden Informationen," murmelte sie, drehte sich um lief in den Turm. Sie wusste, dass Brychan unterwegs war und es daher keinen Sinn machen würde auf ihn zu warten. Der Umstand, dass es kein Kartenmaterial gab, machte sie nicht glücklich. Sie mochte jedoch den Gedanken Gebiet zu betreten, dass man kartografieren konnte.
In Eile packte sie einige Sachen zusammen, zog sich warm an und zog zuletzt den Falknerhandschuh an. Die Wahl, ob sie Lamar oder Bizjan mitnehmen sollte war einfach. Bizjan war wesentlich erfahrener und zuverlässiger als der noch recht junge Lamar.
Mit ihren gepackten Sachen, ihren Waffen und dem Falken kam sie schließlich eine knappe Viertelstunde später wieder die Treppe hinunter und trat vor den Turm
Neun Tage später saßen sie zusammengekauert in einem eisig kalten Raum. Die Fensterscheiben waren von Eisblumen überzogen. Das Gebäude in dem sie sich befanden war wohl einmal eine reich verzierte Bibliothek mit hohen Bücherregalen und bemalter Decke gewesen. Seit Jahrhunderten war es wohl von niemandem betreten worden, doch lagen viele Bücher über den Boden verstreut. Juri und der narbige Jesko mühten sich gerade dabei ab, aus einigen Büchern ein wärmendes Feuer zu entzünden, während Grigorij, Lev und der flinke Dimitrij das obere Balustrade erkundeten, dessen Zugang sie versteckt in einem der Bücherregale entdeckt hatten. Der Bogenschütze Oleg stand an der Eingangstür Wache und rieb sich gerade die Hände, die bislang den ganzen Tag in seinen Handschuhen gesteckt hatten.
Grigorij hatte nicht übertrieben, hier war es deutlich kälter als im südlichen Astrakhan. Gab es hier überhaupt so etwas wie einen Sommer der über dem übrigen Land lag? Sie waren gerade einmal in die äußeren Ausläufer dessen eingedrungen, was Mrazovy Hrob gennant wurde. Diese Stadt muss einmal riesig gewesen sein. Doch jetzt lag sie dem eisigen Verfall preisgegeben. Doch sie waren nicht alleine hier, bereits gestern hatten sie einen Schwarm von verdammt großen Ratten in einem der ersten Häuser das sie betreten hatten aufgestöbert. Sie hatten Glück gehabt, nur Juri und Oleg hatten ein paar Bisse einstecken müssen. In der Nacht hatten sie ein grünlich waberndes Licht über der Stadt gesehen, wunderschön, aber auch grausam anzusehen. Dimitrij hatte kurz bevor sie die alte Bibliothek gefunden hatten steif und fest behauptet, Spuren von Menschen gesehen zu haben, aber als er sie ihnen zeigen wollte, hatte der Wind sie schon verweht.
#12
Die Reise war genau so langweilig und ereignislos gewesen wie erwartet. Das, was der jungen Frau mit zunehmender Nähe zur Stadt aufgefallen war, war dass sich ihr Haarwandlungszauber von Tag zu Tag schwerer wirken ließ. Insgeheim und ohne es laut auszusprechen, fragte sie sich, auf welche Sprüche sie am Ende wohl überhaupt würde zugreifen können. Sie begann sich tatsächlich ernsthaft Sorgen zu machen, als sie feststellte, dass gerade ihr neuer Bindenzauber im Nichts verpuffte, egal wie sehr sie sich anstrengte ihn zu üben. Auch beunruhigt, dass einige andere Zauber verzögert, anders oder gar nicht ihre Wirkung entfalteten, beließ sie schlussendlich ihre Haarfarbe bei schwarz, da ihrer Meinung nach diese Haarfarbe einen großartigen Kontrast zu ihrer weißen Pelzmütze bildete und verlegte sich während der Reise darauf mit Bizjan zu jagen.
Nun stand die junge Magierin in der verlassenen Bibliothek und starrte ungläubig auf die beiden Clanskämpfer an, die vor ihren Augen die Bücher verbrannten.
"Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?" Fauchte sie gereizt und trat an die die Männer heran. Dass die Geister die Beiden verlassen hatten, war mehr als offensichtlich und Minea konnte mit Recht behaupten, dass sie sich darüber wohl eine Meinung erlauben konnte.
Ihr verärgerter Blick traf ihren Bruder. "Kannst du diese Barbaren vielleicht davon abhalten die Bücher zu verbrennen? Die könnten uns echt noch von Nutzen sein!"
Grigorij lehnte sich oben über die Balustrade und grinste herunter:"Ist "Einhundertelf Wege Tiere zu häuten", "1001 khara z´hanische Nächte" und "Wie man Halblinge brät", habe ich sie ihnen vorhin zurechtgelegt, glaube nicht das sind große Verluste," lies er sich vernehmen, "hier oben noch mehr Bücher, liegen verstreut um Regale, Regale kleiner und Aussicht auf euch unten gut. Ist Zeit für Abendessen."
#14
"Wenn ihr auch nur ein magisches Buch verbrennt, werden wir 112 Wege kennenlernen Tiere und Menschen zu häuten," knurrte Minea zu den Barbaren, nachdem sie sich überzeugt hatte, dass die Titel auch wirklich die waren, die Grigori ihr genannt hatte.
Dann wandte sie sich mit zuckersüßem Lächeln wieder Grigori zu.
"Und wann gehen wir endlich Artefakte suchen, mein geliebter Bruder? Nach dem Essen oder verbringen vorher noch eine wundervolle Nacht in dieser Eishöhle, bevor wir endlich etwas tun?"
"Ich dachte, du findest hier vielleicht ein bis drei Hinweise wo wir am besten schauen nach. Ist große Stadt", kam Grigorijs Stimme von oben, doch am Poltern auf der Treppe konnte man erkennen, er war schon wieder auf dem Weg nach unten. "Pscht!", war Oleg zu hören, "da ist wer, ich höre Stimmen!"
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